REISE IN DAS REICH DER SEELE 

DAS URALTE MYSTERIUM BEI DEN ANTIKEN GRIECHEN

Ein gigantisches Thema, ein sehr schöner Begriff mit vielen Fragen. Gibt es eine Seele? Wenn ja, wo ist ihr Sitz? Hat der Mensch eine Seele oder ist der Mensch eine Seele? Was macht die Seele, wenn der Mensch krank ist? Was macht die Seele, wenn zwei Menschen verliebt sind?
Den Antworten auf all diese Fragen werden wir versuchen etwas näher zu kommen, indem wir eine Reise in das unerforschte Gebiet der Seele unternehmen – natürlich philosophisch.

In der griechischen Mythologie erscheint Psyche als Tochter des Helios und der Entelecheia (einer der Begriffe, der von Aristoteles zur Beschreibung des „Vollendeten“ verwendet wurde). Am Tag ihrer Geburt haben sie sämtliche Götter mit ihren Gaben beschenkt. Eros war ihr Mann, der sie später verlassen hat.
Erst nachdem sie gefährliche Aufgaben bewältigt hatte (darunter ein Abstieg in die Unterwelt, den Hades), konnte sie wieder mit ihm vereint werden und unter die Unsterblichen aufgenommen werden.

Seele als Lebenskraft

Die Vorstellung des Menschen als „Körper-Seele-Wesen“ lässt sich bei den Griechen erst im 5. Jahrhundert nachweisen.
Das Wort für Seele (Psychi) wird bei Homer (bedeutendster griechisch-antiker Dichter) noch als Lebenskraft verstanden, welche in den Hades entschwindet und dort mit individuellen Zügen der Menschen weiterexistieren kann.
Nach einer Zeit der Läuterung im Hades zieht sie in einen neuen Körper ein, bis sie schließlich nach langer Wanderung durch verschiedene Gestalten ins Göttliche zurückfindet.

Der Tod ist bei den alten Griechen nichts anderes als die Trennung zweier Dinge voneinander – nämlich der Seele und des Leibes. Im Tod stirbt das Sterbliche des Menschen, das Unsterbliche aber zieht unversehrt seines Weges. Die Seele nämlich ist unsterblich, denn sie steht in notwendiger Verbindung mit der Idee des Lebens. Der Tod ist nicht nur Ende, sondern auch Anfang des Lebens. Anfang im eigentlichen Sinne, denn wie die Idee der Ursprung der Dinge ist, so ist der Tod der Ursprung des (leibgebundenen) Lebens.

Feuer zu Feuer

Was in dir Feuer war, geht in Feuer über, was Erde war, in Erde, was Luft war, in Luft und was Wasser war, in Wasser.
In der Alltagsvorstellung ist die Seele nicht der körperliche Teil des Menschen.

Der Glaube an die Existenz einer unsterblichen Seele des Menschen ist in vielen Religionen verbreitet, variiert aber entsprechend der Vorstellungen der jenseitigen Existenzformen. Aristoteles schrieb im 4. Jh. v. Chr. ein riesiges Werk über die Seele und definierte die Seele als eine universelle Lebenskraft aller Lebewesen (die Pflanzen eingeschlossen). Nach Aristoteles befindet sich die Seele auch bis zu 20 cm außerhalb des Körpers, dies ist die Aura.

Bis in die frühe Neuzeit standen sich zwei Theorien über den Sitz der Seele gegenüber:
– Die zephalozentrische (das Gehirn ist das Zentrum) nach Platon und
– die kardiozentrische (das Herz ist das Zentrum) nach Aristoteles.

Platon erklärte, dass im Gehirn die höchste und entscheidende Kraft der Seele wurzele und lokalisierte, nach seiner Lehre, drei im Menschen getrennt lebende Seelen (das logisticum, der so genannte unsterbliche Anteil des Gehirns).
Die Seele belebt den Körper durch die Blutadern in Form von warmer Luft. Platon glaubt, die Drehbewegungen des Weltraums seien die gleichen wie die der Seele.
So ist sie von Gott geschaffen und bewegt sich immer, Tag und Nacht.
Jede Materie, die es in der Nacht gibt, hat eine bestimmte Möglichkeit sich umzuwandeln und eine bestimmte Materie hat in sich selbst die Möglichkeit zu einem lebenden Organismus zu werden.
Diese bestimmte Form der Materie ist die Entelechie (vollendetes Individuum), die Grundlage des Lebens, das ist die Seele.

Die Seele ist der Kapitän

Es ist überflüssig zu fragen, ob das Wachs mit der Kerze als Substanz eine Einheit ist. Beide sind vollkommen.
Die Seele der Augen ist das Sehen, weil das die Substanz der Augen ist. Ein Körper ohne Seele ist eine Leiche und umgekehrt würde eine Seele ohne Körper den Verlust des Geistes bedeuten. Die Seele ist für den Körper, was der Kapitän für das Schiff ist.
Die These, dass die Seele getrennt vom Körper weiterexistiert, ist bei Platon Voraussetzung der Psychologie, aber auch der Ethik. Für ihn ist die Seele das Vermögen geistige Entscheidungen zu treffen und Veränderungen hervorzurufen.
Wenn man sich die Seele als Substanz vorstellt, die nach dem Tod bestraft oder belohnt werden kann, dann trägt sie auch individuelle Züge.

Die Seele ist der Ort der Erkenntnis geistiger Entscheidung und ethischen Handelns. Sie ist Trägerin sittlicher Eigenschaften und Grundlage sittlichen Handelns.
Da Leben das Gegenteil des Todes ist, kann man sie unsterblich und unvergänglich nennen.

 

„Ein Körper ohne Seele ist eine Leiche und umgekehrt würde eine Seele ohne Körper den Verlust des Geistes bedeuten.“

 

Die Seele ist wie die Idee einfach

Verschiedene Überlegungen sollen die Unsterblichkeit der Seele verdeutlichen.
Das apriorische logische Wissen (die Fähigkeit zu denken, die gewissermaßen jedem Menschen von Geburt an zu eigen ist) wird durch die Erinnerung an eine pränatale (vorgeburtliche) Schau erklärt. Die Seele ist wie die Idee einfach und kann sich daher nicht auflösen. Als Prinzip des Sittlichen, ähnlich wie die Ursache des Lebens, schließt sie den Tod aus.

Die wissenschaftliche Sicht der Seele wie sie sich in der Erinnerungslehre findet, wird im Theogiter (Werk Platons) weitergeführt. Platon unterscheidet zwischen dem, was die Seele betrachtet. Die Seele erfasst Relationen und zeitliche Verhältnisse. Sie ist das Vermögen des Urteils der Wahrheit des Seins.

Die Lehre der Materie und der Form wendet Aristoteles auf das Verhältnis von Leib und Seele an. Der Leib ist die Materie, die Seele die Form und beides zusammen bildet den Menschen. Die Menschenseele hat schon früher einmal existiert ehe sie in unseren Körper einzog. Platon hat in seinem größten Werk Timaios über Psychogonie (Geburt der Seele) geschrieben.

Weltseele in der Natur

Unter Weltseele wird eine Analogie zu der den Körper bewegenden Seele ein besonderes Prinzip des Kosmos im Ganzen verstanden. Die Weltseele hat ihren Platz in der Naturphilosophie, wo sie als vitalistisches Prinzip fungiert.

Die Geburt der Seele wird dort in drei Abschnitte gegliedert:
– Herstellung des Seelenstoffes, seine Einteilung nach mathematischen Verhältnissen und die Aufteilung der Seele.
Die Weltseele erklärt die Ordnung und den teleologischen Aspekt der Welt.
– Denn die neidlose und gute Demiurca (Schöpfen) wollte die Welt sich ähnlich machen und führt deshalb ihren ungeordneten Zustande in einen Zustand geordneter Bewegungen, mit Seele und Vernunft, die über mathematische Kategorien fassbar sind.
– Aber nicht nur die Weltseele, auch die Seelen der Götter, der Dämonen und der Menschen sind aus der Mischung der Elemente entstanden.

 

„Die Seele ist der Ort der Erkenntnis geistiger Entscheidung und ethischen Handelns. Sie ist Trägerin sittlicher Eigenschaften und Grundlage sittlichen Handelns.“

 

Eine Wiedergeburt

Die Seele hat nach dem Tod eine Reihe von Wiedereinkörperungen (Metempsychosis) zu bewältigen, in Menschen, aber auch in Tierarten, die dem Charakter ihres vorherigen Lebens entsprechen.
Dabei sind diejenigen am glücklichsten, die gemäß den gemeinen und bürgerlichen Tugenden, wie Besonnenheit und Gerechtigkeit, gelebt haben. Ihre Seelen gehen in Bienen oder Ameisen oder leidlich tüchtige Menschen ein.

Epikur dagegen hat eine ganz andere Auffassung der Seele. Es gibt nach dem Tode kein eigenständiges Weiterleben der Seele. Die Seele ist für Epikur ein besonders feinfühliges, körperliches Gebilde, das im Körper versteckt ist. Die Feinfühligkeit der Seele folgt aus ihrer Fähigkeit zur Interaktion mit dem Körper. Die Seele ist nämlich Ursache von Affizierbarkeit, Bewegung und Denken und sie leidet mit, wenn der Körper z.B. durch eine Wunde zu Schaden kommt. Das Unkörperliche oder Leere kann nicht auf diese Weise affiziert werden.

Die Seele besteht aus glatten, feinen und runden Atomen, was die schnelle Beweglichkeit der Gedanken erklärt. Epikur vergleicht sie mit einem Windhauch (Pneuma), der mit Wärme vermischt ist.

Heiterkeit der Seele

Nach Demokrit besteht Glückseligkeit in der Heiterkeit der Seele. Dieses hohe Gut kann man durch eine maßvolle Lebensführung erreichen. Die Seele ist die bewegendste Wärme des Lebensatems. Sie besteht wie das Feuer aus kleine, runden Atomen, die überall hindurch dringen und so die anderen Atome bewegen können. Die Seele ist wertvoller als der Leib, der ihr Werkzeug ist. In ihr wohnen Glück und Unglück. Sie ist Sitz des sittlichen Bewusstseins, der Begierden, Leidenschaften und des Schmerzes.

 

Konstantin Gorlas
Philosoph und Heilpraktiker